„Verzeihung, ist hier noch ein Platz frei?“
„Aber sicher.“
„Ich frage nur, weil… man will ja nicht unhöflich sein.“
„Nein, nein, nehmen Sie nur Platz.“
„Aber nur, wenn ich Sie nicht störe.“
„Sie stören mich nicht, setzen Sie sich ruhig.“
„Wissen Sie, man hat ja auch selbst schon schlechte Erfahrungen gemacht mit solchen Leuten, die sich einfach neben einen setzen – ohne zu fragen – und dann vielleicht laute Musik hören oder würzigen Käse essen. Also, ich würde wirklich nur dann Platz nehmen wollen, wenn sie sich in keinster Weise belästigt fühlten.“
„Sie würden mich weit weniger belästigen, wenn Sie sich endlich hinsetzten!“
„Sehen Sie, jetzt werden Sie schon laut! Ich habe ja befürchtet, dass Ihnen meine Gesellschaft unangenehm ist.“
„Sie ist mir nicht unangenehm, also lassen Sie sich doch bitte nieder!“
„Und dann stellen Sie vielleicht fest, dass es Ihnen doch nicht mehr recht ist, dass ich neben Ihnen sitze…“
„Gewiss nicht…“
„Doch, doch, und dann werden Sie nicht wissen, wie Sie es mir beibringen sollen, und sie werden genervt aus dem Fenster schauen und immer wieder auf die Uhr sehen, und Sie werden auf dem Polster hin- und herrutschen und dabei unbewusst versuchen, mich vom Sitz zu drängen, und dann werden Sie schließlich aufstehen, weil Sie ja angeblich schon raus müssen. Ist alles schon vorgekommen. Ich frage deshalb lieber vorher.“
„Schön, aber ich hätte wirklich nichts dagegen, wenn Sie sich neben mich setzten.“
„Nun, das ist gut, dass Sie das sagen. Wissen Sie, da traue ich mich direkt, Sie noch einmal zu fragen, ob ich tatsächlich neben Ihnen Platz nehmen darf. Überlegen Sie genau! Denken Sie ernsthaft darüber nach, ob Sie auch wirklich und unumstößlich sicher sind, dass ich mich jetzt und in diesem Augenblick genau neben Sie setzten darf, und ob Sie auch unwiderruflich einverstanden sind, dass ich mich dort, auf dem Platz neben Ihnen, für zunächst unbestimmte Zeit aufhalte. Gehen Sie noch einmal in sich. Wollen Sie das wirklich? Ist das ehrlich und aus tiefstem Herzen Ihr sehnlichster und größter Wunsch? Ihr seit Ewigkeiten gehegter Traum? Ihre schönste und nächtelang herbeigeweinte Utopie? Ihr Ein und Alles? Ihre Inkarnation absoluter und unerreichter spiritueller Lust? Gestehen Sie! Reden Sie! Singen und schreien Sie es aus sich heraus!“
„Ja! Jaa! Jaaa! Ich will es! Ich brauche es! Ich bete und erflehe es! Ich will, und habe immer gewollt, nur eines in meinem Leben: dass Sie sich neben mich setzen. O bitte, bitte, gewährt mir die Gnade Eurer Gesellschaft!“
„Gern, aber dies ist meine Endstation, auf Wiedersehen!“