Ich versuche euch mal spontan zu erklären, wie es zu den ganzen rechten Wählern kommt und wie die wieder weggehen.
Dazu müsst ihr den Gedanken loswerden, dass es auf der einen Seite die rassistischen Wähler gibt, die für die AfD stimmen und auf der anderen Seite die Nicht-Rassisten, welche die anderen Parteien wählen.
Es gibt nicht plötzlich „mehr Nazis“ oder mehr Rassisten als vor der Wahl. Die Menschen sind dieselben wie früher, nur ihre Prioritäten wurden verschoben.
Stellt euch vor, ihr mögt Yoga, Schach und Handball und geht zu einem Sportfest. An welcher Sportart ihr euch beteiligt, hängt dann u.a. davon ab, welche gerade besonders beworben wird. So entscheidet ihr euch z.B. für Handball, obwohl ihr die anderen Sportarten auch mögt, und werdet nun von den anderen Besuchern als Handballer betrachtet. In anderen Jahren hättet ihr euch vielleicht an den Schachtisch gesetzt.
Menschen vereinigen in sich viele politische Meinungen und Wünsche.
Die meisten Leute haben zwar rassistische Ansichten, aber darüber hinaus noch weitere Vorlieben, die ihnen politisch mal wichtiger und mal unwichtiger sind als ihr Rassismus, und das ist abhängig vom aktuellen politischen Diskurs in Medien und Politik.
Wenn gerade Themen wie Islamismus, Ausländerkriminalität, Asyl an die große Glocke gehängt werden, wird der Rassismus wahlentscheidend, sonst wären es andere Politikvorlieben.
Wenn ihr euch die Wählerköpfe als Schaubild vorstellt, dann gibt es nicht den blau gefüllten Kopf für rassistische Wähler und den rot gefüllten Kopf für sozial eingestelllte Wähler, usw.
Jeder Kopf hat mehrere Farbschichten, gestapelt nach der Wichtigkeit für ihn. Bei dem einen ist die blaue Schicht immer oben, der wählt ständig die Faschisten. Aber bei vielen ist die blaue Schicht meistens weiter unten und wird nur durch mediale und politische Aufpeitschung an die oberste Stelle gespült.
Wir alle kennen doch Leute, deren wichtigstes Steckenpferd ihr Rassismus ist, und die jeden Satz mit „Die Ausländer…“ beginnen. Das ist die faschistische Stammwählerschaft im einstelligen Prozentbereich.
Aber wir merken auch, dass die meisten Leute oft Rassistisches sagen und dennoch SPD oder CDU oder Linke wählen, solange fremdenfeindliche Narrative nicht gerade überall gehypt werden, sondern andere Themen wie Klima oder Schule im Vordergrund stehen.
Wir haben jetzt also nicht die langwierige und kaum lösbare Aufgabe, den Rassismus der Wähler zu beseitigen.
Sondern die kurzfristige und machbare Aufgabe, die Prioritäten der Wähler wieder geradezurücken.
Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit müssen also wieder auf eine höhere Stufe der Wahlentscheidung.
(Leider ist es besonders leicht und verführerisch, über Rassismus Wählerstimmen zu generieren. Daher müssten sich alle demokratischen Parteien verpflichten, diesen Weg nicht zu gehen.)
Stellen wir uns mal eine alternative Realität vor, in der Sozialdemokraten an der Regierung wären. Die könnten dann sagen: Schluss mit dem Spardiktat auf Kosten unserer Zukunft! Wir holen uns von den Reichen jetzt die Steuereinnahmen, um Schulen, Gesundheitssystem und Bahn in Ordnung zu bringen.
Oder stellen wir uns vor, unsere Öffentlich-Rechtlichen wären nicht die Pressestelle von Union und AfD, sondern würden die tatsächlichen Erfolge der Ampel auch mal erwähnen und erklären.
Erinnert euch an die Zeit der letzten Bundestagswahl. Damals war Klimaschutz das bestimmende Thema und wir hielten sogar eine grüne Kanzlerschaft für möglich.
Das Thema Umwelt war damals in den Hirnen der Wechselwähler weit nach oben in der Prioritätenliste gerückt.
Anstatt diesen Schwung sofort in sichtbare, gut erklärte Projekte umzusetzen, ließ man aber zu, dass von rechts wieder das Thema Asyl aufs Tapet gebracht wurde, unterstützt von den Medien.
Das bewirkte eine Prioritätsverschiebung.
Es gibt einen großen Wählerpool von Rassisten. Ein kleiner Teil von denen wählt immer rechtsradikale Parteien, die meisten von ihnen lassen sich bei ihrer Wahlentscheidung aber nur dann von ihrem Rassismus leiten, wenn ihnen dieser Aspekt als das derzeit wichtigste politische Thema dargestellt wird („Flüchtlingskrise! Bezahlkarte!“), man kann sie aber für andere Themen und damit andere Parteien zurückgewinnen. Dadurch werden sie nicht weniger rassistisch, aber wählen zumindest nicht mehr rechts.