Alltagssünder

In Göttingen führt Richtung Innenstadt die vierspurige Weender Landstraße, die beidseitig schöne breite Radwege hat, welche traditionell in beide Richtungen benutzt werden.

Wie ich und tausend andere Göttinger unlängst durch eine freundliche Polizeikontrolle erfuhren, darf der Radweg aber nur in eine Richtung befahren werden.

Ich muss zugeben, dass mir das völlig neu war, obwohl es nach der StVO eigentlich hätte klar sein müssen. Aber die Tatsache, dass sich an diese Regel nie jemand hielt und man auf beiden Seiten stets Gegenverkehr hatte, ließ den Gedanken gar nicht erst aufkommen. Hinzu kommt, dass nach der letzten Kreuzung ein Durchfahrtsverbotsschild für Radfahrer steht und ich dort immer brav die Straßenseite wechselte, weil ich annahm, der restliche Radweg sei nur noch einseitig. In Wahrheit ist das Schild aber überflüssig, wie ich erstaunt zur Kenntnis nahm, und das Durchfahrtsverbot gilt für den gesamten Radweg in der besagten Richtung und nicht erst ab dem Schild.

Auf ein Verwarngeld von 15 Euro wurde verzichtet, womit wenigstens widerlegt ist, dass Verkehrskontrollen nur zur Füllung des Staatssäckels dienten, denn mit den Einnahmen dieser Aktion hätte man gewiss ein neues Polizeiauto kaufen können.

Dennoch kam ich ins Grübeln darüber, wie häufig man doch im Alltag gegen Gesetze verstößt, ohne sich der geringsten Schuld bewusst zu sein.

Wenn die feuchten Träume unserer Innenminister wahr würden und wir eine lückenlose Videoüberwachung zur Ahndung selbst kleinster Übertretungen hätten, fiele mancher brave Staatsbürger, der „nichts zu verbergen“ hat, spätestens dann aus allen Wolken, wenn sein Briefkasten vor Bußgeldbescheiden überquölle.

Man stelle sich das einmal praktisch vor: Ich fahre täglich viermal diesen Radweg. Jedes Mal erfasst mich die Überwachungskamera und identifiziert mich anhand der in meinem Ausweis gespeicherten Gesichtsmerkmale. Am Ende des Monats erhalte ich dann plötzlich eine Rechnung über 1.800 Euro, und zwar völlig zu Recht und unanfechtbar, weil ich tatsächlich täglich vier Verkehrsverstöße beging. Dass es welche waren, erfahre ich zwar erst durch diesen Bußgeldbescheid, aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Falls die Rechnung erst am Jahresende präsentiert würde, müsste ich sogar rund 20.000 Euro zahlen, bevor ich mein Verhalten entsprechend anpassen könnte.

Zum Glück ist es noch nicht so weit, aber manch einer wird sich dann wundern, dass seine Weste doch nicht so weiß ist, wie er immer dachte.