Der spannendste Urlaub meiner Kindheit, wenn nicht überhaupt, war 1986 unsere Reise nach Thüringen. Das sind auch die einzigen Tage meines Lebens, über die ich Tagebuch geführt habe.
Die erste Empfindung war eine Art wohliger Grusel angesichts der scharfen Grenzkontrollen und der Menschen mit Maschinengewehr, die ich hier und da im Stadtbild sah.
Beim ersten Einkauf stellte sich eine Faszination ein angesichts all der fremden Produkte, aber auch Wiedersehensfreude, wenn ich eine Süßigkeit entdeckte, die ich aus Weihnachtspaketen kannte.
Meine Thüringer Verwandten kauften eine winzige Dose Mandarinen für 12 Mark, ein Luxus, den sie sich zur Feier der Schuleinführung gönnen wollten. Ich konnte diesen Preis ebenso wenig begreifen wie die wenigen Groschen, die man andererseits fürs Kino oder Freibad zu zahlen hatte.
Als ich in einer Gaststätte die Tür zum WC öffnete, stand ich plötzlich im Garten. In Sichtweite war ein Holzschuppen und darin ein Donnerbalken. So was kannte ich nur aus Erzählungen meiner Oma.
Über Nacht klaute man uns die Ford-Embleme vom Auto. Vermutlich zum ersten Mal hatte mein Vater das Gefühl, sein Granada-Kombi sei ein begehrter Luxuswagen.
Die Wohnung unserer Verwandten war moderner als unsere eigene, aber insgesamt machte die DDR auf mich den Eindruck einer BRD der 60er-Jahre, und das fand ich toll – wann hatte man schon mal die Gelegenheit zu einer Zeitreise?
Da ich ohnehin sehr nostalgisch veranlagt bin, nahm ich mir vor, mein Rentenalter in Ostdeutschland zu verbringen, denn ich dachte mir, dass dort dann alles so aussehen müsse, wie ich es aus meiner Lebensmitte gewohnt wäre. Diesen Plan habe ich zwischenzeitlich aufgeben müssen.