In Blogs, Politik und Massenmedien hört man zuweilen die Aufforderung an „die deutschen Muslime“, sie mögen sich doch bitte von der Gewalt, die im Namen ihrer Religion begangen werde, ausdrücklich distanzieren.
Dass diese Forderung einen Generalverdacht impliziert, merken viele der ansonsten keineswegs rechtslastigen Urheber offenbar nicht. Deshalb sei es ihnen an dieser Stelle mit dem Holzhammer eingebläut, indem ich Adorno et al.: „Studien zum autoritären Charakter“ zitiere, worin es zwar um den Antisemitismus geht, aber das gleiche Prinzip deutlich wird:
„Der Agitator dagegen möchte bei seinem Publikum den Drang wecken, alle Juden zu vefolgen – die ‚guten‘ wie die ‚bösen‘ – eine Unterscheidung, die er selbst ja keinesfalls wirklich ernst nimmt. Die Idee von der jüdischen Kollektivschuld dient ihm dazu, seine Haltung zu rationalisieren. Der Agitator ist so mehr ein Gegner des Antisemitismus, daß er die Juden beschwört, die Anlässe dazu aus der Welt zu schaffen, und ihnen Ratschläge erteilt, wie sie das bewerkstelligen können. Dadurch aber beweist er nur, daß die ‚bösen‘ Juden ihre destruktive Tätigkeit nur unter dem passiven Schutz der ‚guten‘ ausüben können, und so schmuggelt er die Vorstellung von der Kollektivschuld ein.“
So wenig, wie sich ein Christ von jedem Unrecht distanzieren muss, das der Papst oder christliche Parteien zu verantworten haben, und so wenig sich jeder Linke von der RAF oder jeder Katholik von der IRA zu distanzieren hatte, so wenig müssen sich auch Muslime von den Terrorakten fanatischer Islamisten distanzieren, denn wer dies verlangt, nimmt bereits eine unzulässige Vereinnahmung vor und ordnet friedliche Muslime in die gleiche Obergruppe wie die Täter ein, übernimmt also die Sichtweise der Fanatiker, die sich tatsächlich als gute Muslime sehen, nicht aber die Perspektive der Moderaten, die solche Terroristen gerade nicht als legitime Glaubensbrüder betrachten.
Wenn ein Kegelbruder Unrecht begeht, muss ich mich als Mitglied des Kegelvereins vielleicht von ihm distanzieren, da ich einst für seine Aufnahme gestimmt habe.
Wenn hingegen ein Neonazi einen Rollstuhlfahrer verprügelt, muss ich mich nicht von ihm distanzieren, nur weil wir zufällig die gleiche Staatsbürgerschaft haben. Ich muss sein Verhalten zwar als Mensch verurteilen, aber ich muss mich nicht als Deutscher davon distanzieren, also auch noch ausdrücklich betonen, dass ich solches nicht täte, obwohl ich ebenfalls Deutscher sei, denn die Meinung, dass es besonders deutsch wäre, Rollstuhlfahrer zu überfallen, ist ja gerade nur Meinung des Neonazis und nicht meine Vorstellung von deutsch, insofern gibt es gar keine gemeinsame Basis, von der aus eine Distanzierung möglich wäre. Ich habe auch niemals für die Einbürgerung des Neonazis gestimmt, er wurde ungefragt in mein Land hineingeboren, und ich sehe auch keine Veranlassung, seinetwegen das Heimatland zu wechseln. Also kann mir durch den Zufall, dass wir beide den gleichen Pass besitzen, keine Mitverantwortung für sein Tun angelastet und somit keine Distanzierung davon aufgebürdet werden.