Benimmlektion

Eine Benimmregel sieht vor, dass man zur Begrüßung erst der Dame und dann dem Herrn die Hand gibt. So weit so gut. Viele Berufssakkoträger und Tanzschulabbrecher haben diese Konvention aber so sklavisch verinnerlicht, dass ihnen das Feingefühl in der Anwendung dieser Regel und die Souveränität zum Abweichen von derselben fehlt.

Welcher Mann kennt nicht die Situation: Man öffnet einem Gast die Haustür und streckt ihm freudig die Hand entgegen, doch anstatt diese zu ergreifen, stiefelt der vermeintliche Knigge-Jünger quer durch den Flur, um erst die Dame des Hauses zu begrüßen.

Das ist kein gutes Benehmen! Zum einen muss man eine Dame nur dann als erste grüßen, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe und nicht von den Herren entfernt befindet. Vor allem aber ist es ein grober Affront, eine ausgestreckte Hand auszuschlagen! Solch einen Fauxpas zu begehen, nur um eine untergeordnete Konvention einzuhalten, ist in etwa so, als würde man auf den Tisch scheißen, weil man es unschicklich fände, nach der Toilette zu fragen.

Grundsätzlich handelt es sich also um eine aktive und keine passive Regel: Man(n) streckt zwar zuerst der Dame die Hand entgegen, wenn man auf ein Paar trifft, aber falls einem der Herr zuerst die Hand gibt, schlägt man diese nicht aus.

Das schlechte gute Benehmen ist jedoch noch steigerungsfähig durch die Gattung der Oberlehrer: Die lassen ihre Opfer nicht nur mit ausgestrecktem Arm stehen, während sie zur Dame vorpreschen, sondern kommentieren dies auch noch mit einem „Ladies first“ oder „Die Dame wird zuerst begrüßt.“. So gelingt es ihnen, ihren Affront mit einer Zurechtweisung zu garnieren und alle Sympathien zu verspielen, die gutes Benehmen eigentlich gewinnen sollte.