Alles Neue polarisiert, ob in Kunst, Literatur oder Kommunikation. Das gilt erst recht dort, wo alle drei Bereiche zusammentreffen, wie es hier der Fall ist.
Um Twitter zu begreifen, muss man zuerst verstehen, dass es ein Medium und nicht ein Inhalt ist. Es liegt am Twitterer, was er daraus macht, genau wie sich zwischen zwei Buchdeckeln Hochliteratur oder ein Teenagertagebuch befinden kann.
Twitter hat zu einer neuen Blüte des Aphorismus, des Aperçus, des Bonmots geführt. Georg Christoph Lichtenberg und Oscar Wilde wären heute Twitterer. Andere Tweetautoren widmen sich der Poesie, der Ultrakurzgeschichte oder der Alltagsmomentaufnahme.
Man muss als Lesender diese Blüten der Twitterwiese wie ein Schmetterling anfliegen, indem man sie in seine Timeline einflicht. Wer nur wie ein Rindvieh das Gras abfrisst, wird dieser Schönheit nicht ansichtig werden.
Zum zweiten muss man verstehen, dass Twitter interaktiv ist. Was der eine schrieb, wird von den anderen bewertet, weitergegeben und kommentiert. Ein direkteres Feedback hat nie zuvor ein Autor gehabt.
Nicht umsonst heißen die Leser eines Twitterers seine Follower, es sind mehr als bloße Rezipienten.
Was nun ist das Besondere an Michaela von Aichbergers Projekt Ich-male-meine-Follower?
Dreierlei!
Zum einen portraitiert sie nicht den Menschen, sondern dessen virtuelle Repräsentation, was anhand der Tweetinhalte, des Symbolbildes oder des Pseudonyms geschieht. Sie interpretiert also frei nach ihrem eigenen Empfinden die Onlinepersönlichkeit ihrer Follower und setzt sie grafisch um. Das ist etwas konzeptionell Neues, das mit traditioneller Portraitzeichnung nur wenig gemein hat.
Zum zweiten nutzt sie ein Medium, das eigentlich nur aus 140-zeichigen Texten besteht, als grafischen Schaffens- und Schauraum, denn ihre Bilder veröffentlicht sie vornehmlich im Internet.
Die realen Ausstellungen sind die dritte Besonderheit, weil sie gleichsam ein Happening darstellen, das die Onlinewelt in die anfassbare Welt holt und es den Twitterern ermöglicht, einander in Fleisch und Blut kennenzulernen und zu sondieren, wie sich die virtuelle Person von der realen und beide wiederum von der gezeichneten unterscheidet. Hier treffen Mensch, Portrait und Twitteridentität aufeinander.