Es ist immer amüsant, wenn ein Bayer sich darüber beschwert, dass in den Medien das Norddeutsche die vorherrschende Sprache sei und die südlichen Mundarten benachteiligt würden. Als Sprachwissenschaftler schmunzelt man darüber, weil in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall ist. Die heutige deutsche Standardsprache ist eine künstlich aus den oberdeutschen und mitteldeutschen Dialekten entwickelte Schriftsprache. Der Einfluss des Niederdeutschen, also der nativen Sprache der Norddeutschen, ist äußerst gering.
Im Süden hat man aber neben der gemeinsamen Schriftsprache auch die eigenen mündlichen Dialekte beibehalten, wohingegen man im Norden das Niederdeutsche im Laufe des 20. Jhs. beinahe ganz zu sprechen aufgegeben hat und stattdessen dazu überging, die hochdeutsche Schriftsprache auch in der mündlichen Kommunikation zu verwenden. Während man diese aus dem Süden stammende Standardsprache also im Süden nur schreibt, aber Dialekt spricht, wird sie im Norden sowohl geschrieben als auch gesprochen, derweil man die eigene Sprache aufgegeben hat.
Kommt nun ein Bayer nach Hannover, dann fällt ihm auf, dass die Leute dort so sprechen wie er selbst schreibt, und er ruft verärgert aus: „Unsere Standardsprache richtet sich ja nur nach den Norddeutschen!“ Die traurige Wahrheit ist aber, dass die Hannoveraner ihre eigene mündliche Sprache abgelegt haben und sich beim Sprechen nur noch der Standardsprache süddeutschen Ursprungs bedienen, allerdings in einer Aussprache, die den norddeutschen Gepflogenheiten entspricht.
Das, was wir heute Standard-Hochdeutsch nennen und in der Tagesschau hören, ist also ursprünglich eine künstliche Schnittmenge süddeutscher Dialekte, die auf norddeutsche Weise ausgesprochen wird.
Die kulturell Kolonisierten sind also nicht die bedauernswerten Lederhosenseppel, sondern die armen Fischköppe.