Gedichtinterpretation
Zicke zacke
Hühnerkacke
Bei dem vorliegenden Werk eines unbekannten Dichters handelt es sich um ein besonderes Kleinod deutscher Dichtkunst, das in Form eines elliptischen Apophthegmas den pointierten Geistesreichtum eines Epigrammes mit der tiefen Symbolik eines barocken Sonetts vereinigt.
Unter intentionellem Verzicht auf alles sprachlich Ornamentale und manieristisch Überzeichnete erreicht der genialische Schöpfer dieses Poems in fulminanter Kunstfertigkeit eine prägnante Restriktion auf das inhaltlich absolut Indispensable.
Dennoch zeigen die beiden im Trochäus gehaltenen akatalektischen Verse durchaus eine Reihe formalanalytisch relevanter Stilelemente. So ist verbi causa die Kongruenz aller Wortendungen – welche an den Versenden einen Paarreim zur Folge hat – besonders augenfällig und erweist sich funktionell für die Schaffung einer inhaltlichen Kontextur sowohl der beiden Verse als auch der dem ersten Vers entstammenden Wörter „zicke“ und „zacke“ verantwortlich.
Der ungeachtet dessen insgesamt etwas aphoristisch anmutende Stil dieses lyrischen Meisterwerkes sollte dennoch niemals über seine tiefsinnige inhaltliche Antithetik hinwegtäuschen, deren Erschließung jedoch zunächst die Deutung der an Chiffren grenzenden Symbolik des Gedichtes voraussetzt.
Beginnen wir a tergo mit dem besonders delikaten Begriff der „Hühnerkacke“. Selbst der unbedarfte Literat wird erkennen, dass sich hierin die Bezeichnungen für Huhn und Exkrement verbergen.
Das Huhn aber ist bekanntlich das zehnte Zeichen des chinesischen Tierkreises und entspricht damit astrologisch dem Steinbock, welchem als Element die Erde zugeordnet wird. Die Erde wiederum gilt in der Mythologie als weibliche Gottheit und wird als lebensspendender Schoß angesehen.
Eine ähnliche Bedeutungsebene offenbart sich dem Symbolkundigen auch hinsichtlich des Exkrement-Begriffes: Bei einigen, zumeist die Koprophagie ritualisierenden, afrikanischen Eingeborenenstämmen galten herumliegende Kothaufen als von Seelen bewohnt, die von dort aus in die Körper der Frauen übergehen (hoc pauca illustrat).
Zusammenfassend lässt sich also resümieren, dass das „lutum gallinarum“ (d.h. die gemeine „Hühnerkacke“) als das Urbild des Weiblichen anzusehen ist – dessen maskulinen Konterpart wir folglich in der ersten Hälfte des Gedichtes suchen müssen.
Und in der Tat finden wir in der enigmatischen Wendung „zicke zacke“ nicht weniger als einen bildhaften Ausdruck für den Blitz, welcher von alters her als Ausdruck göttlicher Kraft gilt und im Zusammenhang mit der durch den Gewitterregen gesteigerten Fruchtbarkeit auch eindeutig phallische Bedeutung haben kann.
So ist also dies großartige Stück Poesie letztendlich als ein literarischer Hermaphrodit zu deuten, der mit den Mitteln der Lyrik den immerwährenden Antagonismus der Geschlechter thematisiert.
Fassen wir also endlich den Mut, dieser Perle germanischer Dichtkunst den ihm gebührenden Platz am literarischen Firmament einzuräumen!
Magazin